Ich stehe barfuß am Ufer des Hexenruh-Sees, mein Atem sichtbar im kalten Samhain-Nebel. Die Welt um mich ist still – zu still. Kein Rascheln, kein Plätschern. Selbst der Wind hält den Atem an.
Der silberne Nebel liegt schwer auf dem Wasser, als würde er etwas verbergen. Oder bewahren.
Ich habe gehört, dass die Alten in dieser Nacht zurückkehren. Dass sie ihre Stimmen im Nebel flüstern lassen, dass sie wachen.
Doch heute ist es anders. Es fühlt sich nicht wie Wachen an.
Es fühlt sich an wie… Warten.
Ich gehe ein paar Schritte ins seichte Wasser. Kalt wie der Tod – oder der Schauder, der einem die Nackenhaare senkrecht stehen lässt. Mein Blick sucht die Seerosen, doch sie sind verschwunden, als hätte der See sie verschluckt.
Da ist es.
Ein Schatten.
Nein – eine Gestalt.
Schmal, hochgewachsen, gehüllt in einen Mantel aus Dunkelheit. Der Nebel reißt um sie herum auf, als hätte er Angst.
Nur ihre Augen bleiben. Zwei brennende Punkte in glühendem Rot. Kein Licht, das sich darin spiegelt. Nur Hitze. Wut. Oder Schmerz. Vielleicht beides.
Ich friere. Nicht nur außen. Innen. In meinem Knochenmark.
Die Silhouette bleibt stehen – genau auf der Wasserfläche, wo das Eis noch nicht trägt.
Sie spricht nicht. Doch ich höre eine Stimme.
In meinem Kopf.
Oder in meinem Blut?
– „LegY… Tochter des Zweiges… du trägst die Flamme…“ –
Mein Herz schlägt schneller. Ich kenne diesen Namen. Nicht meinen eigenen. Den anderen. Den aus den verbotenen Geschichten.
Die Flamme. Die Schwarze.
Die, die kam, als das Dorf brannte und Birkhafen fiel.
– „Es ist Zeit zu wählen… Licht oder Glut?“ –
Ich will schreien, doch meine Stimme bleibt im Hals stecken wie kalter Rauch.
Ein Bild schiebt sich vor mein inneres Auge: ein Kreis aus Krähenfedern, ein Dolch im Moos, mein Blut auf einem alten Stein.
Ich spüre den See unter meinen Füßen zittern. Oder bin ich es selbst?
Die Gestalt hebt langsam die Hand. Ein einzelner Finger zeigt auf mich. Die Augen brennen heller.
Und dann flüstert der Nebel.
Nicht in Worten. In Erinnerungen.
Ein Mädchen. Verbrannt.
Eine Frau. Verraten.
Eine Hexe. Vergessen.
Ich bin nicht sie.
Und doch… bin ich es vielleicht.
Der Nebel zieht sich zurück. Die Gestalt verblasst. Nur die roten Augen verweilen noch einen Moment länger – wie zwei brennende Monde.
Dann ist alles still.
Ich stehe wieder allein am Ufer.
Oder?
Ein einziger Seerosenkelch schwimmt auf dem Wasser. Blutig rot.
Ich nehme ihn an mich.
Denn ich weiß:
Die Wahl ist getroffen.
Samhain hat gehört.
Und nichts wird mehr sein wie zuvor…
















