Das tanzende Mondlicht
Der letzte Tag des Häschenmondes ist wie ein Geheimnis, das nur einmal im Jahr geflüstert wird. Die Wiesen leuchten in silbrigen Schlieren, die Luft ist mild und schmeckt fast wie gezuckerte Milch, ein Zeichen, dass die Grenze zwischen Magie und Wirklichkeit dünner ist als sonst.
Ich stehe barfuß im weichen Gras. Mein Kleid, aus samtigem Weinrot und blutroten Stickereien, schwingt locker und luftig um meine Hüften. Mein Haar, tiefschwarz wie geschmolzene Dunkelheit, ist geflochten und mit kleinen, roten Blumen verziert. In meiner Hand liegt mein neuer Zauberstab, den ich mir extra für den Tanz gekauft habe. Wenn ich ihn schwinge, verströmt er glitzernde Kristallpartikel, die in der Nacht funkeln wie winzige Sterne.
Wir waren zu fünft. Iris mit ihrer Blütenmagie. Eine sanfte Seele mit einem Herzen, das für Pflanzen pocht. Sie rückt ihre Brille zurecht und betrachtet eingehend die floralen Dekorationen bis wir dran sind. Miyu unterstützt unsere musikalische Untermalung. Mit jedem Ton ihrer Leier malt sie Noten in die Luft, die sich wie goldene Lichter um uns legen. Flaimi setzt ihre Äthermagie zärtlich wie einen süßen Traum ein. Um uns herum schweben winzige, verschiedenfarbige Flammen, die nicht nur Wärme und Licht spenden, sondern auch perfekt auf unsere jeweiligen Hexenfarben abgestimmt sind.
Die Fünfte im Bunde ist Sakura, schweigsam und stark. Mit ihrer Runenmagie hat sie den gesamten Boden in einen magischen Musikkreis verwandelt, auf dem wir gleich unsere Choreografie tanzen sollten.
Flaimi und Sakura stehen außen, Iris und ich neben ihnen und Miyu mit ihrer Leier in der Mitte. Der Tanz beginnt. Miyu schlägt die erste Note an, eine leise Melodie wie flüssiger Bernstein, die sich in unseren Herzen ausbreitet. Wir bewegten uns synchron, langsam und anmutig und mit jeder Bewegung begann unsere Magie zu fließen. Dann folgt ein Stellungswechsel im Kreis und ich stehe in der Mitte.
Ich drehe mich und mit der Bewegung lösen sich kleine Zuckerkristalle von meinem Kleid und schweben in der Luft wie zartes Konfetti. Der süße Nebel breitet sich aus, glitzert und umhüllt uns, fast wie auf einem Konzert. Die Zuschauer, Schüler, Lehrer, Feen, sogar ein paar Tiere seufzen leise, als der Duft von Erdbeerschnee über sie hinweg strich. Erneut tauschen wir die Plätze, nun dreht sich Iris in der Mitte. Sie hebt ihre Parfümflasche und als sie den blumigen Duft der Rionala-Blume versprüht, verwandelt sich der Nebel um uns herum in ein Blütenmeer. Rionala und Felisblatt im Wechsel öffnen sich in der Luft, fliegen wie leuchtende Papiervögel über unsere Köpfe hinweg. Als sich die Blüten gelegt haben, wechseln wir erneut und Sakura steht in der Mitte.
Sakura zeichnet mit einem einzigen Finger einige Runen in die Luft, helltürkis, vibrierend. Mit einem leisen Summen legt sich eine magische Matrix über den Boden. Ihre Runen beginnen im Rhythmus der Musik zu leuchten und jeder unserer Schritte wird zu einem pulsierenden Feuerwerk auf dem Boden. Als letztes ist nun Flaimi an der Reihe.
Sie tritt vor und hebt ihr Amulett. Mit einem sanften “Puff” verschwinden ihre Flammen und verwandeln sich in leuchtende Wassertropfen, die sich in beeindruckenden Spiralen um uns im Hintergrund drehen. Sie schwirren um uns herum und lassen funkelnde Spuren im Nebel zurück.
Wieder zurück in unserer Ausgangsposition, beginnt nun das Finale. Wir wirbeln mit ausgestreckten Armen und unsere Spezialisierungen prallen aufeinander und explodieren wie ein Feuerwerk. Kristalle, Blüten, Tropfen, sie bilden einen großen Wirbel, funkeln kurz und lösen sich dann auf, als würden sie mit den Sternen wetteifern.
Ich spüre, wie meine Augen glühen, wie die Magie durch mich pulsiert. Den anderen muss es ganz genauso gehen. Wir reißen die Arme in die Luft, die Musik erlischt und der Platz ist kurz in Dunkelheit.
Doch dann passiert etwas Unerwartetes. Ein leuchtendes Häschen, mit blütenweißen Ohren und einem Mondzeichen auf der Stirn, springt mitten in unseren Kreis. Es schaut mich direkt an. Dann reihum alle Anderen. Und dann, mit einem puff, verschwand es, als hätte es sich in Licht aufgelöst. Zurück blieb ein Ei, durchsichtig, kristallen, in seinem Innern pulsiert ein Licht wie flüssiger Zucker. Sakura tritt vor, aktiviert ihren Runenstein, und wir alle halten den Atem an. Ein uraltes Siegel erscheint, wirbelt um das Ei und dann…öffnet es sich.
Heraus wächst ein kleiner Baum, bestehend aus Zuckerkristallen, Blüten, leuchtenden Noten, Ätherfunken und Runenlicht, so als wäre unsere Magie in ihm zusammengewachsen. Alle unsere Magien strömen in ihn hinein und er funkelt wie ein Symbol dessen, was wir sind: verschieden, aber vereint.
Das war der Tanz des Häschenmondes, wie ich ihn erlebt habe.