LUNASTRIA HEXENAKADEMIE
Als ich die letzte Rune meines Schutzzaubers auf das Pergament übertragen habe, blicke ich zum Lehrerpult. Der zweite Teil der Prüfung beginnt. Professorin Elvina klatscht in die Hände. “Nun zu den Siegelfängern! Ihr wisst, was zu tun ist. Ich wünsche euch viel Glück!“
Ich springe auf und eile aus dem Klassenzimmer. Mein Herz klopft, meine Gedanken rasen. Wo könnte einer dieser flinken, kleinen Dinger sein? Was zieht sie an? Welche Orte kommen in Frage? Der Zaubertrank Keller? Ich renne die Treppe runter, überspringe jede zweite Stufe. Aus der Spitze meines Stabes lasse ich ein Licht scheinen, um die Umgebung zu erhellen, doch auch in der hintersten Ecke finde ich keine Anzeichen eines Siegelfängers. Eventuell muss ich erst überlegen und nicht kopflos losstürmen. Welcher Ort würde am meisten Sinn machen? In der Schulküche gibt es nichts für den Siegelfänger. Der Garten macht auch keinen Sinn. Dann erinnere ich mich an den Hinweis aus der letzten Stunde: Siegelfänger werden oft an Orte mit Geräuschen, Tönen und Schallwellen gezogen. Musik. Der Musikraum!
Ich eile aufgeregt durch die Korridore, meine Stiefel klackern auf dem Steinboden. Die Tür zum Musikzimmer ist nur angelehnt, ein leises, kaum wahrnehmbares Surren dringt heraus. Das muss einer sein.
Langsam schiebe ich die Tür auf und sofort huscht ein goldener Schimmer durch den Raum, umkreist die Harfe und zischt dann in Richtung Flügel. Ich atme tief durch.
“Okay, du kleines Ding, ich hab dich!” murmele ich und nehme ein paar Zuckerkristalle aus meinem Beutel und lasse sie um mich herum schweben. Ich richte meinen Stab in Richtung Siegelfänger, konzentriere mich. Die Kristalle geben einen leichten, schimmernden Rauch ab und funkeln mit dem fliegenden, kleinen Biest um die Wette.
Der Siegelfänger surrt über die glänzende Oberfläche des Flügels, bleibt einen Moment zögernd in der Luft stehen – jetzt oder nie! Ich stoße nach vorn, meine Magie entfaltet sich in einem glitzernden Nebel. Der kleine goldene Fänger will entkommen, doch meine Kristalle verhärten sich blitzschnell zu einem klebrigen, feinmaschigen Zuckernetz.
Er macht einen letzten, wilden Schlenker und prallt gegen den Flügeldeckel. Ein dumpfer Klang hallt durch den Raum und mein Herz setzt einen Schlag aus. Habe ich ihn? Ist der Flügel noch ganz?
Vorsichtig trete ich näher. Zwischen den Tasten des Flügels zappelt der Siegelfänger, festgehalten von einer dünnen, schimmernden Zuckerschicht. Ich lasse den Nebel verblassen, greife nach dem kleinen Ding und spüre sein schwaches Vibrieren in meiner Hand.
“Nice, das lief ja wie geschmiert“, flüstere ich, während ich mich vorsichtig umsehe.
“Ach finden Sie das, Miss Amber?”
Hinter mir steht Professorin Niana mit verschränkten Armen und strengem Blick.
“Sie hätten beinahe den uralten Akademie Flügel aus Mahagoni zerstört, was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?”, rügte sie mich schroff.
“Es tut mir leid Professorin, dieser Siegelfänger gehört zur Prüfung und er hat sich hier im Raum versteckt.”, sage ich entschuldigend und senke den Kopf.
“Professorin Elvina hat Nerven, so eine Aufgabe innerhalb des Schulgebäudes durchzuführen. Ich werde mich mal mit ihr unterhalten müssen. Und Sie gehen jetzt zurück in den Unterricht.”, tadelte sie mich noch einmal.
“Ja, Professorin!”, sage ich erleichtert und flitze zurück zum Klassenraum.