09. Stunde Verteidigungsmagie
In Helvik angekommen, wischte ich mir erstmal den Schweiß von der Stirn. Es war Sommer, super heißer, schweißtreibender Sommer. Der rote Stein meines Amuletts pulsierte vor Hitze und Aufregung. Die Luft roch nach Abenteuer und Tatendrang, es war immerhin die erste praktische Übung in der Stadt. Helvik war quirlig, laut, bunt, aber überschaubar. Und natürlich waren wir bereits etliche Male hier gewesen, um Material und Zutaten zu kaufen.
Neben mir schwebte Marin aufgeregt und trug den Kopf höher als gewöhnlich. Seitdem sie eine große Elfe war und noch dazu den fortgeschrittenen Unterricht besuchte, war sie voller Energie und wollte mich unbedingt zum Unterricht begleiten. Ihre schwarzen Haare glänzten in der Sommersonne und ihre roten Augen blitzten neugierig über den Marktplatz.
“Denk daran, Marin”, sagte ich leise, während ich mich an einer Ecke vorbeischob, “wir müssen nicht nur schauen, wer offensichtlich Hilfe braucht, sondern auch wer braucht Hilfe, aber sagt es nicht laut?“ Sie nickte ernsthaft und streckte ihre Hand aus, nutzte ihre Windmagie zusammen mit ihrer Empathie und schickte einen fast liebevollen, warmen Wind durch die Gassen und Wege Helviks auf der Suche nach jemandem, der Hilfe benötigte. Der Wind kehrt zurück, wirbelt um uns herum, wirbelt Laub auf und zeigt uns die Richtung. Er führt uns in den Park, in den etwas verwilderten, romantischen Wald-Teil des Parks, um genau zu sein. Neugierig folgten wir einem moosigen Weg. Die Bäume hingen tief über uns, das Licht wurde grün und gedämpft, der Boden weich. Und dann hörten wir es.
Ein leises Wimmern. Zitternd, fast wie das Weinen eines Kindes.
Wir fanden sie an einem Bach, halb hinter einem Baumstumpf. Ein kleines Wesen, kaum größer als eine Katze, mit schimmernden Flügeln, krummer Haltung und verknotetem Haar. Ihre Haut war blassgrün und ihre Augen voller Tränen.
“Eine Dryadin?” flüsterte Marin ehrfürchtig.
Ich nickte. “Aber irgendetwas stimmt nicht mit ihr.”
Ich trat vorsichtig näher und kniete mich hin. “Hey. Mein Name ist Amber. Das ist Marin. Wir wollen dir helfen.”
Die Dryadin schluchzte. “Meine Wurzel…sie tut so weh…etwas hat sich im Boden festgesetzt. Es sticht und brennt.“
Ich legte eine Hand auf den feuchten Waldboden und schloss die Augen. Meine Magie tastete sich vorsichtig vor. Und da war tatsächlich etwas. Eine giftige Substanz, tief unter der Erde, vermutlich ein misslungener Zaubertrank. Er störte das Gleichgewicht, verletzte die Verbindung der Dryadin mit ihrer Heimatwurzel.
“Da hat jemand illegal seinen misslungenen Trank entsorgt”, murmelte ich. “Wir müssen die Erde reinigen, um ihr zu helfen.”
Marin hob ihre kleinen, filigranen Finger. “Ich kann ihre Schmerzen lindern, bis du die Flüssigkeit gereinigt hast.“
Ich nickte und sie legte direkt los. Sie wirkte Wassermagie, die sich wie ein sanfter Schleier um die Dryadin legte und ihre Schmerzen durch Kühlung linderte. Stolz beobachtete ich meine kleine, große Elfe.
Doch ich hatte meine eigene Aufgabe zu erledigen. Ich legte meine Hand auf den Boden, berührte mein Amulett und sprach:
“Amarin Marun Mira Mara Arun”
Die Erde öffnete sich mir wie eine Landkarte, präzise konnte ich alle Reste des Trankes lokalisieren. Ich zauberte meinen neuen Hex-Hex Schild, er bestand nicht wie früher aus Zuckerkristallen, sondern diesmal war es ein fester Eis-Schild, durchsichtig schimmernd. Um jedoch die Flüssigkeit in sich einzuschließen und an die Oberfläche zu bringen, ließ ich den Schild verflüssigen. Stück für Stück oder eher Tropfen für Tropfen schlängelte sich die Flüssigkeit durch die Erde nach oben und ich füllte sie in eine leere Phiole. Ich hielt das Glas hoch. Im Endeffekt waren es vielleicht nicht mal 100ml, doch das Gebräu war hoch toxisch und hat der Dryadin stark zugesetzt.
“Das nehmen wir mit zur Professorin zur Analyse.”
Als ich den Schild auflöste, richtete sich die Dryadin auf. Ihre Flügel flatterten, in ihren Augen schimmerten noch immer Tränen, doch diesmal vor Erleichterung.
“Danke…ich spüre meine Wurzel wieder.”
“Dein Baum wird heilen”, sagte Marin sanft. “Aber ruh dich noch eine Weile aus.”
Die Dryadin berührte unsere Stirn mit ihren Fingerspitzen, ein Zeichen tiefer Dankbarkeit.
Auf dem Heimweg kaufte ich Marin und mir noch ein Erdbeereis, bevor wir zur Akademie zurückkehrten.
Professorin Cybil erwartete uns bereits.
“Ihr habt gute Arbeit geleistet und eure Zusammenarbeit war wie immer wunderbar. Der Trank ist bereits im Labor bei Professorin Sindony zur Analyse. Wir sehen uns zur nächsten Prüfung.”
Ich bedankte mich und ging ins Internatszimmer zurück.