Ein Besuch bei Rapunzel’s
Der Herbst war bereits fast vorbei, die Tage wurden schneller dunkel und die Temperaturen immer kälter, der Winter nahte. Und dennoch konnte ich dieser Jahreszeit einiges abgewinnen. Die feuchte, frische Luft belebt Körper und Geist, jeder Spaziergang macht die Wangen rosig und erweckt in mir ein Gefühl von Tatendrang.
Heute hatte ich etwas Besonderes vor und meine Freundin Flaimi würde mich bei meinem Vorhaben begleiten.
“Wieso genau muss ich dich zum Friseur begleiten?”, fragte ebendiese und schaute mich spielerisch genervt an.
“Emotionaler Support?”, gab ich frech grinsend zurück. Sie schaute mich aus den Augenwinkeln an und grinste zurück.
“Das ist doch nur ein einfacher Friseurbesuch, wozu brauchst du mich da?”
“Ist doch egal, ich habe vor mich zu verändern und möchte, dass meine gute Freundin mich begleitet, um mir seelischen Beistand zu leisten.”
“Du hast bereits gegen Wassergeister gekämpft und einem Drachen gegenüber gestanden, aber hey, wenn meine Anwesenheit dich bei diesem gefährlichen Vorhaben unterstützt, dann werde ich selbstverständlich liebevoll deine Hand halten.”
“Perfekt, jetzt verstehen wir uns.”
Motiviert stolzierte ich zu meinem Besen, Flaimi folgte mir und rollte gespielt genervt die Augen, weil ich mich so kindisch-fröhlich aufführte, aber es war schon lange her, dass ich mal einen ganz normalen Ausflug mit einer Freundin gemacht hatte. Ein Tag ohne Prüfung, ohne schwarze Karten oder verfluchte Artefakte. Einfach nur zwei junge Frauen auf dem Weg zum Friseur.
Wir flogen gemütlich über die Dächer Helviks, da fragte Flaimi mich folgendes.
“Weißt du denn schon, was du möchtest? Du sagtest was von Veränderung.”
Kurze Zeit schwieg ich und dachte darüber nach, ob ich die Stimmung verderben würde, wenn ich die Wahrheit sagte. Doch ich wollte auch nicht lügen, denn ich hatte hier Freunde gefunden, denen ich vertraute.
“Es sind die Drachen-Gene”, fing ich zögernd an zu erzählen. “Eventuell ist dir aufgefallen, dass mein Haar über den Sommer sehr viel länger geworden ist, das liegt an diesen blöden starken Haarwurzeln, die mir mein Drachen-Vater vererbt hat. Alle paar Monate macht mein Haar quasi über Nacht einen extremen Wachstumsschub.”
“Ich hatte mich schon gewundert, dass die auf einmal fast länger als meine waren”, feixte Flaimi und ich erzählte weiter.
“Das macht mich jedes Mal ein wenig sauer, weil er sich nach Mutters Tod entschied seine einzige Tochter einfach zurückzulassen. Und nun werde ich alle paar Monate schmerzlich daran erinnert, dass ich zur Hälfte von diesem Feigling abstamme.”
Flaimi war nicht besonders überrascht, immerhin trug sie ähnliche Gene in sich, doch offenbar war ihr Haarwachstum eher gleichmäßig. Vielleicht lag es an meinem inneren Konflikt, dass es bei mir eher schubweise auftrat.
“Das würde mich auch wütend machen”, erwiderte Flaimi ruhig. “Und was willst du nun machen lassen?”
Ich grinste.
“Alles abschneiden.”
“Alles?!”, fragte sie schockiert und wandte sich zu mir um. Fast wäre sie mit ihrem Besen in eine Baumkrone gesegelt, konnte sich aber wieder fangen.
“Haha, nein, nicht ganz alles. Ich hatte überlegt, es auf Schulterlänge schneiden zu lassen, wie meine Tante Ruby.”
Erleichtert seufzte Flaimi und wir landeten elegant auf dem Stadtplatz. Gemütlich spazierten wir zu Rapunzel’s, wo uns Tiffany direkt freundlich begrüßte und uns Kekse und Kaffee anbot. Ich erzählte ihr von meinen Plänen und sie war direkt begeistert, sie liebte große Veränderungen und war immer aufgeregt, wenn eine Schülerin der Akademie etwas Neues ausprobieren wollte. Flaimi saß derweil in einem Gästestuhl und las ein Buch über fortgeschrittene Heilzauber, das vor ihr in der Luft schwebte.
Es dauerte eine knappe Stunde bis alles geschnitten und gerichtet war und am Ende war ich total zufrieden. Meine Haarspitzen lockten sich ein wenig und meine spitzen Ohren waren nun viel besser zu sehen. Es sah insgesamt sehr frech und frisch aus. Flaimi war total begeistert und sah mich einmal aus jedem Winkel an und murmelte, wie niedlich das aussah. Selbst draußen vor der Tür fummelte sie noch an meinen Schleifchen rum.
“Das reicht jetzt, ich bin doch keine Puppe”, sagte ich spielerisch beleidigt und stupste sie in die Seite.
“Aber das sieht schon echt niedlich aus, du bist direkt ein paar Jahre jünger geworden.”
“Oh nein, ich bin doch noch nicht mal alt gewesen.”
“Wenn du wieder erwachsener wirken willst, sollten wir dir ein schickes neues Herbst-Outfit besorgen.”
“Direkt eine komplette Typveränderung? Meinetwegen.”
“Schau mal da, das Outfit da im Schaufenster von Stich und Spindel, das würde dir total gut stehen”, sagte sie und zeigte auf ein schönes Kleid mit Knöpfen über einem Rollkragenpullover.
“Oh du hast Recht, das gefällt mir total gut, darin seh’ ich dann total seriös aus.”
Also gingen wir noch spontan ein neues Outfit für mich kaufen und verbrachten einen ganz normalen Tag, wie ihn ganz normale Mädchen verbracht hätten, bevor wir uns wieder dem Unterricht widmeten und uns auf das diesjährige Julfest vorbereiteten.















