Amber’s POV:
Ich hörte, wie der Projektor summte. Ein silbriger Schimmer tanzte über den Boden, und dann veränderte sich die Welt um mich herum. Der Raum verschwand, Professorin Cybil trat zurück, ich war allein. Nein, nicht völlig allein. Ich spürte die Präsenz hinter mir.
“Also gut, Hexe der Elemente,” murmelte eine vertraute, melodische Stimme. “Zeig mir deine Skills, du Beschützerin.”
Ich drehte mich nicht um. Ich wusste, dass Chary dort stand, halb im Schatten, was ihre mysteriöse Aura unterstrich. Ihr dunkelviolettes Haar fiel ihr ins Gesicht, ihre Augen glänzten wie flüssiges Gold und an ihrer Hüfte baumelte ein seltsames, in Leder gebundenes Instrument, das aussah wie eine Okarina. In der Hand hielt sie ihr Notenbuch, bereit zu unterstützen, wenn es notwendig war.
“Kein Druck oder so”, fügte sie mit einem verschmitzten Lächeln hinzu, “aber wer die Bestzeit ablegt, bekommt ein Stück Runengold von der Professorin.”
Ich grinste zurück. “Na dann lehn dich zurück und genieß die Show.”
Sie war die einzige, die im Unterricht so weit war wie ich. Wir hatten noch nicht viel miteinander zu tun gehabt, aber ich wusste vom Beobachten, dass sie echt lustig sein konnte.
Doch zurück zur Prüfung. Das Szenario baute sich vor uns auf. Ein moosiger, dunkler Wald, durchzogen von Nebel und Raureif. Zwischen knorrigen Wurzeln stand ein riesiger, pechschwarzer Hund. Er knurrte tief, die Zähne gefletscht. Vor ihm ein kleines Elfchen, kaum größer als meine Handfläche, zitternd und mit nassen Flügeln.
Ich konnte ihr Herz beinahe hören. Und meines auch.
Ich griff nach meinem Zauberstab. Das Amulett an meinem Hals begann leise zu summen, es reagierte auf die Magie um mich herum.
“Wir müssen sofort handeln, ich kümmere mich um den Hund und du um die Elfe”, rief ich Chary meinen Plan zu.
“Alles klar, Big Boss.”
Ich berührte mein Amulett, konzentrierte mich auf den Äther, der durch mich floss. Feuer, Wasser, Erde, Luft.
“Amarin Marun Mira Mara Arun”
Die Erde erhob sich donnernd, baute sich zwischen der Elfe und dem Hund auf, trennte sie voneinander. Bestimmt, schützend, wie ein Arm, der sich zwischen Gefahr und Unschuld schiebt. Der Wall schob das Elfchen langsam zurück, weg von der Gefahr. Gleichzeitig sperrte ich den Hund von allen vier Seiten ein.
Chary trat an meine Seite, zog ihr Instrument hervor. Eine einzige, helle Note hallte durch den Nebel. Kein Lied, eher ein Klang, beruhigend. Die Luft schien stehen zu bleiben, ein fast unsichtbarer Schleier legte sich auf beide Parteien. Der Hund stockte. Die Elfe atmete erleichtert auf.
“Ich beruhige die Elfe und besänftige den Hund”, murmelte sie mir zu. “Doch da scheint noch mehr zu sein.” Ich blinzelte verwirrt, doch ich spürte es auch, da war noch etwas.
Ich schloss die Augen, bat die Erde, sich mir zu offenbaren. Einen kurzen Moment passierte nichts. Dann leuchtete mein Amulett grün. Ein Baumstamm hob sich leicht, Wurzeln wichen zurück und zum Vorschein kam ein verletzter Welpe.
Verstehe. Ich ließ den Wall verschwinden. Der große Hund jaulte auf, rannte an mir vorbei zu dem verletzten Jungtier. Keine Gewalt. Kein Kampf. Chary trat näher ans Elfchen, das jetzt keine Angst mehr hatte und neugierig zum Hund sah.
“Danke für meine Rettung”, sagte sie schließlich zu Chary. “Ziemlich hell für jemanden mit so düsterer Ausstrahlung.”
“Ziemlich frech für eine gerettete Illusion”, sagte Chary, schnalzte mit der Zunge und verschränkte die Arme. Doch sie war nicht wirklich verärgert und grinste.
Die Szene flackerte, dann löste sich der Wald in Licht auf.
Wieder im Klassenzimmer. Professorin Cybil blickte uns an und nickte zufrieden.
“Das habt ihr sehr gut gemacht. Amber du hast die Situation schnell eingeschätzt und reagiert und Chary du hast auf deine Umgebung geachtet und zugehört.”
Chary und ich sahen uns an. Mit einer Mischung aus Stolz und Demut gingen wir heute aus dieser Stunde. Ich hatte heute auf jeden Fall gelernt, auch mal inne zu halten und zuzuhören. Mein Umfeld zu beobachten und alle Blickwinkel zu betrachten.
Chary’s POV:
Die plötzliche Veränderung unserer Umgebung war unbeschreiblich, ein Blinzeln und alles war anders. Doch ließ ich mich davon nicht ablenken, denn die Prüfung hatte bereits begonnen. Ich blickte zu Amber, die stramm vor mir stand und sich konzentriert umschaute. Selbst auf meine Bemerkungen, die die Stimmung etwas auflockern sollten, reagierte sie nur spärlich. Mein Blick wanderte schließlich, da bemerkte ich die Silhouette eines großen Hundes. Seiner gesenkten Körperhaltung und dem bedrohlichen Knurren nach zu urteilen war er definitiv nicht auf Freundschaft oder Streicheleinheiten aus.
Seine bösartig halbgeschlossenen Augen waren auf das kleine zitternde Lebewesen keine paar Zentimeter von seinen gefletschten Reißzähnen entfernt fixiert. Es war eindeutig eine kleine Elfe und alles schrie in mir, dass wir sie um jeden Preis zu retten hatten.
„Wir müssen sofort handeln,“, riss mich Amber’s helle Stimme plötzlich aus den Gedanken, „Ich kümmere mich um den Hund und du um die Elfe!“
Etwas perplex über die direkte Entscheidung, statt vorher einen Plan zu schmieden, blinzelte ich verdutzt die Ätherhexe an. Schließlich zuckte ich mit den Schultern und schüttelte nur grinsend den Kopf.
„Alles klar, Big Boss.“, willigte ich lachend ein. Denn nicht nur hatten wir keine Zeit zu verlieren, sondern war ich unter dem Strich eh keine strategische Hexe und liebte die Spontanität.
Als Amber den Äther durch ihren Körper fließen ließ und sich auf ihren Zauberspruch die Erde zu einem mächtigen Schutzwall zwischen Hund und Elfe erhob funkelten meine Augen. Ich beobachtete gespannt, wie sie mit wenigen subtilen Bewegungen weitere Erdwände herbeizauberte, die den erschrockenen Hund einsperrten. Mir wurde schnell bewusst wie unberechenbar das Tier wohl in seinem Schockzustand sein musste, daher war es nun an meiner Zeit zu handeln.
Ich trat an Amber’s Seite hervor, zückte mein Instrument und schloss die Augen.
„Ich beruhige die Elfe und besänftige den Hund“, klärte ich die Ätherhexe auf und blies wie in einer Art magischen Trance eine klare Note, die harmonisch durch den Nebel schlich. Als der Hund den Ton vernahm lockerte sich seine straffe Haltung sofort, er winselte kurz und legte sich hin. Auch die Elfe schien sich gut zu beruhigen, was mich aufatmen ließ. Doch da spürte ich die unerklärliche Präsenz eines weiteren Lebewesens. „Doch… da scheint noch mehr zu sein.“ Auch wenn mir Amber nur einen verwirrten Blick darauf entgegnete gab es keinen Zweifel und schnell wurde es auch ihr bewusst. Erneut machte sie sich ihr Amulett zu Nutze, um die Natur darum zu bitten uns die weitere Präsenz zu offenbaren: einen verletzten Welpen.
Nun machte alles Sinn!
Während sich Amber darum kümmerte das vermeintliche Muttertier wieder freizulassen und zu seinem Kind eilen zu lassen, wand ich mich der Elfe zu. Sie war sichtlich erleichtert noch an einem Stück zu sein. „Danke für meine Rettung“, strahlte sie mich an und ich war schon bereit mein „Gerngeschehen“ zu erwidern, als sie weitersprach „Ziemlich hell für jemanden mit so düsterer Ausstrahlung.“
Ich zuckte zusammen und schnalzte mit der Zunge. Meine Arme verschränkten sich locker, um meinen Unmut etwas herunter zu spielen, doch ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen. „Ziemlich frech für eine gerettete Illusion“ war schließlich mein Comeback. Nicht, dass ich jedoch wirklich sauer gewesen wäre.
Da verzerrte sich unser Umfeld und wandelte sich abrupt in unser Klassenzimmer zurück. Als Professorin Cybil uns jeweils gelobt hatte sahen Amber und ich uns zufrieden an. Ich hatte aufjedenfall Spaß an der Prüfung und war dankbar für das Teamwork, das uns diese hat erfolgreich absolvieren lassen.