Erste Stunde Verteidigungsmagie – Gruppenarbeit von LegY und Fable
Als die Professorin die Klasse betrat, war es auf einen Schlag mucksmäuschenstill. LegY und Fable saßen gemeinsam an einer Schulbank und sahen sich erstaunt an. Sie hatte so eine starke Ausstrahlung, dass nicht einmal die Krabbeltiere unter den Bodendielen wagten sich zu bewegen. Sie marschierte flotten Schrittes nach vorne zum Lehrertisch, legte ihre Tasche dort ab und wandte sich direkt an die Gruppe.
„Guten Tag, liebe Schülerinnen. Mein Name ist Professor Cybil. Ich hoffe, ihr habt alle einen Platz gefunden, von welchem ihr gut nach vorne sehen könnt. Ich werde heute mit euch die Grundlagen der Verteidigungsmagie durchgehen und euch beibringen, wie ihr euch im Ernstfall verhalten könnt. Dazu habe ich euch einige Unterlagen mitgebracht.“
Die Professorin zog einen dunkelroten Zauberstab, mit einer elegant aussehenden Gravur aus ihrem Umhang, macht eine gekonnte Bewegung und schon öffnete sich ihre Tasche und ein ganzer Stapel Papiere erhob sich wie ein Vogelschwarm und verteilte sich im Klassenraum. Jede Schülerin bekam ein kleines gedrucktes Heft, auf dem in großen Buchstaben „Einleitung in die Verteidigungsmagie“ und in etwas kleinerer Schrift darunter „von Elroy G. Hibbs“ stand. LegY blätterte neugierig durch die Seiten, während die Professorin ein paar Stichpunkte mit einer schwungvollen, aber präzisen Bewegung auf die Tafel schrieb. „Irgendwie habe ich ein bisschen Bammel,“ sagte Fable leise zu LegY. „Ja, ich versteh dich gut. Die hat aber eine Ausstrahlung! So still war unsere Klasse, glaube ich, noch nie! Und so wie es aussieht, wird der Unterricht kein Kinderspiel. Guck mal diese Zauber an,“ antwortete LegY und deutete im Heft auf eine Anleitung für einen ‚Schutzschild für bis zu 3 Personen‘. Die Elfen Lele und Peony saßen auf dem Tisch vor den beiden Schülerinnen und guckten neugierig in das Heft hinein.
Mit einem lauteren Räuspern, zog Professorin Cybil die Aufmerksamkeit der Klasse wieder auf sich. „Auch wenn Konflikte unter Hexen und Zauberer äußerst selten sind, solltet ihr für den Ernstfall gewappnet sein, um klug und sicher zu handeln. Magie kann trotz allem sehr gefährlich sein, und es gibt leider immer wieder Fälle, in denen die Hexenkunst dafür verwendet wird, um anderen zu schaden.“
Fable und LegY hörten dem Vortrag gebannt zu und machten sich hin und wieder Notizen in ihre Hefte. Obwohl Professor Cybil eine strenge Ausstrahlung hatte, war sie doch freundlich und beantwortete Fragen wenn welche aufkamen und schien sich sogar zu freuen, wenn die Schülerinnen mitarbeiteten. Fable merkte allerdings schnell, dass sie es nicht duldete, wenn jemand Lärm machte oder sich unterhielt, als sie unabsichtlich ihren Stift fallen ließ und dafür einen tadelnden Blick erhielt.
Nachdem der theoretische Teil der Stunde abgeschlossen war, halfen alle zusammen, um die Bänke an die Seite zu zaubern und die Raummitte freizumachen.
„Alles klar, ich zeige euch nun den ersten Zauber. Wir beginnen mit einem einfachen Fesselungszauber. Wie wir zuvor in den Unterlagen gelesen haben, wird euer Gegenüber dadurch nicht nur körperlich gefesselt und bewegungsunfähig gemacht, sondern es werden auch die magischen Kräfte kurzzeitig etwas geschwächt. Dies ist allerdings kein endgültiger Zauber – er dient hauptsächlich dazu, euch in einem Notfall Zeit zu geben, um zu entkommen oder gegebenenfalls jemand oder etwas an der Flucht zu hindern. Seid also trotzdem immer auf der Hut!“
Die Professorin ging in die Mitte des Klassenzimmers, in welcher sich ein Kreis von neugierigen Schülerinnen gebildet hatte. Sie stampfte einmal bestimmt auf den Boden und – wie auf Kommando – fiel eine kleine Spinne von der Decke herunter, die sich kurz etwas verwirrt umzusehen schien, und dann sofort versuchte, sich wieder zu verkriechen. Bevor sie das jedoch schaffte, schwang die Professorin wieder ihren Zauberstab, sprach ihre Zauberformel und plötzlich bildete sich ein Kreis von schwebenden Runen um die Spinne herum, welche daraufhin wie erstarrt auf den Boden zusammensackte. Manche Schülerinnen waren ganz erstaunt, andere wirkten etwas angeekelt von der Spinne.
„So kann ein Fesselungszauber aussehen. Nun, meine Zauber sind generell etwas minimalistischer und ohne viel Trara, sie wirken durch meine Runenmagie. Ihr sollt allerdings eure Spezialisierungen mit einfließen lassen und darauf achten, dass ihr euch auf euer Gegenüber fokussiert. Zuerst übt ihr ein bisschen an den Puppen, die hier an der Wand stehen, und dann möchte ich, dass ihr euch mit euren Sitzpartnerinnen zusammentut und gemeinsam übt. Wenn ihr Fragen habt, könnt ihr gerne zu mir kommen.“
Die gesamte Klasse machte sich daran, die Zauber so gut wie möglich zu üben. An den Puppen konnte man zwar nicht erkennen, ob sie wirklich gelähmt waren, aber die Zauber zeigten dennoch ihre Wirkung. Als die Übungsphase vorüber war und alle die Zauber ein paar Mal versuchen konnten, war es Zeit die Zauber in Zweiergruppen zu versuchen. Der Schwierigkeit darin bestand, dass die Hexenschülerinnen ihre Spezialisierungen und Kräfte vereinen mussten, damit der Zauber gelingt. Dadurch würde der Zauber etwas stärker, aber das Risiko, dass etwas schief ginge, war auch höher. …das wussten LegY und Fable allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
LegY und Fable suchten sich einen Platz im Raum, an dem sie sich beide gut bewegen konnten. Die beiden waren etwas zu voreilig und hatten die Anleitung im Heft zu den Gruppenzaubern nicht gelesen. Sie bereiteten sich kurz vor, indem sie ihre Zauberstäbe und ihre Gegenstände für die Spezialisierung zur Hand nahmen. „Okay, also dann versuchen wir jetzt beide die Puppe zu fesseln, oder? Na, das dürfte doch kein Problem sein, immerhin hat es bisher ganz gut funktioniert,“ meinte LegY. „Ja, lass es uns einfach mal versuchen! Ich versuche mit meiner Blütenmagie eine Art Ranke hervorzuzaubern. Wie Efeu, der sich um die Hände schlingt und Blüten sprießen lässt, die einen lähmenden Effekt haben – Maiglöckchen zum Beispiel.“ „Das klingt gut! Und ich versuche mit der Hilfe von Erde und Wasser hölzerne Ranken zu zaubern – ein bisschen wie Wurzeln, die aus dem Boden kommen.“ Die Elfen der beiden sahen sich etwas unsicher an und gingen zur Sicherheit schon einmal in Deckung. LegY und Fable sprachen beide zur selben Zeit ihre Zauberformel und konzentrierten sich auf die Puppe. Ein Licht strahlte aus den Zauberstäben und erfüllte kurz ihre Umgebung. Plötzlich wuchsen aus dem Boden lange grüne und braune Ranken, allerdings schien es, als hätten diese ein Eigenleben. Die Schülerinnen konnten die Ranken mit ihren Zauberstäben nicht anleiten die Puppe zu fesseln und stattdessen kamen die Ranken auf die zwei Mädchen zu und begannen sie zu umschlingen. „Woooaah! Stopp, lass mich runter! Hihihiiiilfe!“, rief LegY, als sie von einer Ranke am Knöchel gepackt wurde und ruckartig nach oben gezogen wurde. Nun hing die arme kopfüber da, während eine weitere Ranke sie kitzelte und ihr die Haare zerzauste. Fable wurde währenddessen von zwei Ranken an Armen und Beinen festgehalten und konnte sich kaum noch halten vor Lachen. „Hahaha, nein! Haha…haaaaalt. Bihihitte nicht! Hört ahahauuuuf!“
Professorin Cybil war in diesem Moment gerade mit einer anderen Schülergruppe beschäftigt und merkte erst was los war, als sie das Gelächter und die Hilferufe hörte. Sie eilte sofort zu dem Desaster und beendete den Schabernack der Ranken mit einem gängigen Umkehrzauberspruch. Man hörte einen lauten Knall, als LegY und Fable wieder auf dem Boden landeten. Die Beiden guckten beschämt und entschuldigend zu der Lehrkraft auf, die über ihnen stand und sie etwas tadelnd betrachtete. Dann jedoch half sie ihnen auf und fragte: „Sagt mal, was war denn hier los? Was habt ihr denn gemacht?“ Nach einer kurzen Erklärung des Vorfalls wusste Cybil sofort, was schiefgelaufen war. „Ach herrje. Habt ihr denn den wichtigsten Schritt vergessen? Ihr müsst eure beiden Kräfte zuerst aufeinander einstimmen, damit sie sich nicht gegenseitig bekämpfen und in Harmonie für euch arbeiten.“ LegY und Fable sahen sich verdattert and und die Professorin schüttelte nur den Kopf. „Kommt, ich helfe euch dabei.“
Die beiden Schülerinnen standen sich nun zuerst gegenüber und hielten ihre Hände nach oben – in einer Hand den Zauberstab – und schlossen die Augen. LegY begann mit ihrer Zauberformel. „Ich rufe die Magie des Äthers an – stehe mir für meinen Zauber zur Seite. LUMOS!“ Dann war Fable an der Reihe. „Ich rufe die Magie der Blüten an – stehe mir für meinen Zauber zur Seite. PEONI PEONI POKORO POKO!“ und dann sprachen beide zur gleichen Zeit.
„Lass Ranken erscheinen – wachsen und blühen. Und hindere diese Kreatur am Fliehen.“
Das Licht erschien wieder – dieses Mal in den beiden Grüntönen der Hexenfarben der Schülerinnen – und vermischte sich zu einer glänzenden Sphäre, die kurz zwischen den Beiden schwebte und dann in Richtung der Puppe flog. Aus dem Boden wuchsen braune, wurzelige Ranken, die sich um die Beine der Puppe schlangen und den Oberkörper hinaufwuchsen. Weiter oben wurden aus den hölzernen Ranken dann zartere, sich schlängelnde Kletterarme, wie die Äste eines Efeus auf dem kleine Maiglöckchen- und Fingerhutblüten aufblühten und sich um die Arme und Handgelenke legten.
LegY und Fable blickten kurz etwas erstaunt auf ihr vollbrachtes Werk und freuten sich dann sofort, dass sie so einen mächtigen Zauber geschafft hatten und umarmten sich. „Sieh dir das an, LegY! Das hält die Puppe nicht nur gefesselt, sondern sieht sogar toll aus!“ „Ja, stimmt! Wir haben es geschafft!“ Als sie die Freude der beiden Schülerinnen sah, lächelte Professor Cybil zum ersten Mal in dieser Stunde, wandte sich dann aber zu dem nächsten Team, um ihm zu helfen.