07. Stunde Verteidigungsmagie
Der Morgen begann wie so viele andere, mit dem Duft nach feuchter Erde und dem leisen Summen der Bienen im Schulgarten. Zwischen Reihen von Barilkresse, Korawurzel und Larastkraut blitzten die silbernen Haare von Professorin Cybil auf, während sie uns in Richtung des Übungsfeldes führte.
Ihr Haar war kurz, wie immer akkurat geschnitten und ihre eisblauen Augen funkelten mit ernster Erwartung. Hinter dem Schulgarten war ein Bereich freigeräumt worden, doch das, was wir dort sahen, war keine freie Wiese mehr. Dank eines meisterhaften Illusionszaubers erstreckte sich nun eine zerklüftete Berglandschaft vor uns. Schmale Pfade, tiefe Schluchten, Nebel, der aus dem Nichts zu wabern schien.
“Heute,” begann sie mit fester Stimme, “lernt ihr die Anwendung der Knoten, die ihr in den letzten Tagen geübt habt. In Zweierteams werdet ihr an einer Simulation teilnehmen und euer Gegenüber vor einem tödlichen Sturz bewahren.” Ein kurzes Raunen ging durch den Raum. Einige schauten besorgt ihre Partner an. Kara und ich nickten uns nur an. Professorin Cybil fuhr fort. “Ihr seid zu keiner Zeit in echter Gefahr, doch es wird sich so anfühlen. Wenn ihr jedoch eure Knoten gut vorbereitet habt, werdet ihr keine Probleme haben.”
“Amber, du und Kara seid die ersten.”
Kara trat neben mich, ihr kastanienbraunes Haar zu einem langen Zopf gebunden, der ihr über die Schulter fiel. Sie wirkte gelassen, aber ich kannte sie gut genug, um das leise Zittern ihrer Finger zu bemerken. Heute war es keine einfache Übung. Es fühlte sich echt an – das war der Punkt.
Professorin Cybil streckte die Hand aus, murmelte eine Formel und die Illusion veränderte sich. Plötzlich standen wir auf einem engen Steg zwischen zwei steilen Felswänden. Wind zischte durch die Luft, jedenfalls fühlte er sich wie Wind an. Illusionsmagie oder nicht, es überzeugte alle Sinne.
“Kara überquert. Amber sichert.”
Ich nickte, umfasste meinen Zauberstab fester, das Amulett an meiner Brust begann in schimmernden Farbtönen zu glimmen, ein Pulsieren, das mit meinem eigenen Herzschlag verschmolz.
Kara trat auf den Steg. Die ersten Schritte wirkten sicher, doch je weiter sie ging, desto unsicherer wurde sie. Dann ein falsch gesetzter Fuß, ein Aufschrei. Kara rutschte ab, die Hände rangen in der Luft nach Halt und sie kippte zur Seite.
Ich hob den Zauberstab instinktiv. Spürte das Fließen aller vier Elemente durch mich hindurch, wie ein einziger, wirbelnder Strom.
“Amarin Marun Mira Mara Arun!”
Ein Seil aus schimmernder Äthermagie formte sich in der Luft, der Achterknoten bildete sich, wie wir ihn geübt hatten. Er schlang sich sicher um Karas Taille, zog sich fest, noch bevor sie in die Illusionschlucht stürzen konnte.
Sie hing, keuchend, über dem Abgrund, ihre Haare hingen wirr, ihre Augen weit vor Schreck. Doch sie war sicher.
Ich ließ das Seil mit einer Bewegung zurückziehen, die Elemente gehorchten mir bereitwillig. Kara landete neben mir auf festem Boden, kniete zitternd, aber unversehrt.
Professorin Cybil trat näher und nickte anerkennend. “Gute Reaktion, Amber. Deine Kontrolle über den Knotenzauber war präzise. Und du hast die Elemente fließen lassen, statt sie zu zwingen. So soll es sein.”
Ich lächelte nur schwach, dann half ich Kara auf die Füße. Mein Herz raste noch, aber ich spürte, dass es das war, was ich wollte. Beschützen.