Nyx betrachtete ihre Freundin Chary während des Unterrichts immer wieder mit wachsender Besorgnis. Es war nicht zu übersehen, dass Chary heute nur mit halbem Herzen dabei war: Ihre Wangen schimmerten leicht fiebrig, die sonst so leuchtenden Augen wirkten müde, und immer wieder huschte ein Nieser über ihre Lippen. Offenbar hatte auch sie die aktuelle Grippewelle erwischt, und das ausgerechnet jetzt, wo Professorin Myra mit großem Eifer erklärte, wie man den heilkräftigen Tee der Vitalität braute.
„Das trifft sich eigentlich ganz gut“, murmelte Nyx leise vor sich hin und griff vorsichtig nach ihrer Tasche. Erst gestern hatte sie fleißig den vitalisierenden Tee vorbereitet, sorgsam gebraut aus funkelndem Sternenwasser vom magischen Brunnen. Wer wäre wohl besser geeignet, diesen zu probieren, als Chary?
Kaum hatte Professorin Myra die Anweisungen zur heutigen Heilaufgabe beendet und alle Schülerinnen machten sich eifrig ans Werk, huschte Nyx auch schon davon, um ihre angeschlagene Freundin aufzusuchen. Chary war nicht mehr an ihrem Platz; sicherlich hatte sie sich irgendwo in Ruhe hingelegt, um sich auszuruhen und Kraft zu tanken.
Nyx suchte nicht lange. Schon bald entdeckte sie ihre Freundin auf einer gemütlichen Bank im Schulgarten unter einem großen, alten Baum. Chary lag zusammengerollt da, eingehüllt in ihre Lieblingsdecke, und döste sichtlich erschöpft vor sich hin. Ein leichter Schauer schien sie ab und zu zu durchlaufen, und Nyx’ Sorge wuchs noch ein wenig mehr.
Leise näherte sie sich und setzte sich sanft zu ihr. „Chary?“, flüsterte sie vorsichtig und strich ihrer Freundin zärtlich über die Haare. „Ich hab da etwas für dich.“
„Mnnh..?“
Schlaftrunken öffnete Chary ihre Augen und richtete ihren glasigen Blick in die Richtung aus der diese liebliche Stimme kam. Auch wenn sie zunächst nur die Silhouette ausmachen konnte, würde sie diese übergroße puderrosa, wenn noch unscharfe, Zuckerwatte doch überall erkennen.
„Nyx? Was.. machst du denn hier?“, nuschelte die angeschlagene Hexe. Träge richtete sie sich auf und rieb sich dabei die Augen, um ihren Fokus wiederzuerlangen. Sie blinzelte Nyx fragend an, die nur kicherte und ihr eine Tasse Tee hinhielt. Als die einzige Reaktion ein noch immer fragender Blick auf das dampfende Getränk war, nahm die Blumenhexe neben ihrer Freundin Platz und erklärte lächelnd: „Trink das. Ich verspreche dir, es wird dir danach wieder viel besser gehen.“ Als Chary’s Hände zittrig die Tasse entgegen nahmen, streifte Nyx ihr eine lose Strähne aus dem Gesicht. „Na komm, hopp.“
Vorsichtig führte Chary den Tassenrand an ihre Lippen und ließ sich zunächst auf das angenehme Aroma ein. Sie schloss ihre Augen und nahm einen Schluck zur Probe. Die Temperatur war perfekt; der Tee füllte sie mit einer wohligen Wärme und gleichzeitig mit einem erfrischenden Hauch. Ihre zuvor müden Augenlider öffneten sich, wie wenn er ihre Erschöpfung einfach wegspülen würde. Die Melodiehexe fühlte sich zwar noch nicht direkt auskuriert, jedoch ausgeschlafen und nichtmehr ganz so geschwächt.
„Das schmeckt so gut“, seufzte Chary, „Mir geht es wirklich besser. Danke dir Nyx!“ Mit einem Lächeln trank sie nach und nach ihren Tee aus. Sichtlich glücklich über das Lob und umso mehr über die deutliche Verbesserung von Chary’s gesundheitlichem Zustand, strahlte Nyx förmlich über beide Wangen hinweg.
Der Tee der Vitalität war mehr als gelungen.