LUNASTRIA HEXENAKADEMIE
Werde eine Hexe
Schülerinnen
und Einkaufstraße
Deine Geschichte
Professorin Elvina betritt freundlich lächelnd das Klassenzimmer. „Guten Morgen, liebe Schüler*innen“, sagt sie und legt ein schweres Buch auf den Tisch. Das Buch hatte ich mir zuvor auch aus der Bibliothek ausgeliehen, das „Gesetzesbuch“ – ich bin schon gespannt, was heute auf uns wartet. Während Professorin Elvina noch die Inhalte aus der letzten Unterrichtsstunde wiederholt, sehe ich verträumt aus dem Fenster. Heute ist ein wunderschön sonniger Tag und ich freue mich schon darauf, heute noch etwas anderes zu machen. Nicht, dass ich Professorin Elvinas Unterricht nicht mag, aber ich bin wirklich gerne draußen unterwegs. Vielleicht schaue ich heute noch einmal bei meinem Elfenbeerenbäumchen vorbei – immerhin muss ich es noch gießen …
Als würde sie ahnen, dass meine Gedanken abschweifen, stupst mich Elisa sanft an. Ein wenig vorwurfsvoll schaut sie mich an und deutet mit einer kleinen Geste auf Professorin Elvina. In dem Moment bemerke ich, dass sie eine neue Aufgabe vorstellt. Oje, ein Glück hat Elisa mich gewarnt!
„Wir werden heute jeweils Fallbeispiele bearbeiten. Betrachtet das Fallbeispiel unter den gelernten Leitsätzen und Verhaltensregeln, die eine Hexe beachten muss. Jeder von euch wird ein individuelles Szenario bekommen, sodass ihr auch wirklich selbst analysieren und überlegen müsst, was in dem Szenario vor sich geht und wie ihr handeln würdet.“ Professorin Elvina gibt einen Stapel von Zetteln an die links sitzende Schülerin der ersten Reihe. „Bitte nehmt euch einen der Zettel. Auf jeden Zettel ist ein anderes Szenario beschrieben. Bitte notiert darunter eure Analyse der Situation – was wurde falsch gemacht, wo hätte man besser handeln können. Und dann erläutert kurz, wie ihr die Situation lösen oder entschärfen würdet!“
Als der Stapel bei mir ankommt, sind kaum noch Zettel übrig, weil ich doch recht weit oben sitze. Ich wähle einfach den obersten Zettel und reiche die letzten vier Zettel an meine Sitznachbarin weiter. Als ich den Zettel umdrehe, sehe ich einen kurzen Text und darunter Linien bis zum Ende der Seite zum Schreiben.
Du bist in Helvik unterwegs, als du eine Hexe bemerkst, die von einer kleinen Menge umgeben ist. Sie verkauft Amulette, die angeblich starke magische Kräfte besitzen. Doch dir fällt etwas Seltsames auf: Kurz bevor sie ein Amulett verkauft, greift sie zu ihrem Hexenkristall und murmelt leise Worte. Es wird dir klar, dass sie die Käufer mit Magie beeinflusst, um sie zum Kauf zu bewegen – ein klarer Verstoß gegen die Gesetze.
Elisa sitzt neben mir auf dem Tisch und schaut sich ebenfalls das Fallbespiel an. Das Beispiel ist eigentlich recht offensichtlich – die Hexe verhält sich falsch, ganz klar. Ich könnte wie eine Heldin auftreten und die böse Hexe auffliegen lassen! Doch Elisa legt ihre kleine Hand auf meinen Arm und schaut mich mit großen Augen an. Seufzend blicke ich sie an … ich weiß genau, was sie mir sagen will. Ich soll einen kühlen Kopf behalten und nachdenken, bevor ich handele. Als Hexe hat man schließlich Verantwortung. „Schon gut Elisa, wir machen es auf deine Weise“, flüstere ich ihr zu und schnappe mir mein Lehrbuch mit den Notizen vom letzten Mal.
Erst einmal analysieren – was ist genau falsch? Die fünf Regeln der Hexerei besagen, dass man seine Magie nur für gute Zwecke einsetzen soll, diese Regel wurde offensichtlich gebrochen. Außerdem soll man Magie nicht ausnutzen, auch das tat die Hexe im Fallbeispiel ganz offen. Lebewesen in Not muss man helfen – hier habe ich ganz klar die Aufgabe einzugreifen, weil die Käufer hier praktisch betrogen werden. Die viertel Regel kann wohl vernachlässigt werden, immerhin gibt es in dem Szenario keine Verstorbenen. Aber die fünfte Regel greift wohl auch – Gefühle und Gedanken dürfen nicht mit Magie beeinflusst werden. Unglaublich diese Hexe im Fallbeispiel! Obwohl mir von Anfang an klar war, dass ihr Verhalten falsch ist, mache ich mir durch die Analyse erst richtig bewusst, dass sie gegen jede der Hexenregeln verstößt, gegen die sie in dieser Situation verstoßen konnte! Unmöglich! Wütend schnaube ich und erschrecke Elisa, die konzentriert neben mir sitzt und meine Notizen mitliest. Sie nickt mir anerkennend zu – anscheinend ist sie von meinen Notizen positiv überrascht.
Nun zu schweren Teil … wie soll ich handeln? Es gibt so viele Möglichkeiten dieser Situation zu begegnen. Wer würde nicht gerne ein strahlender Held sein, die die armen unfreiwilligen Käufer rettet? Aber … ein Gedanke kommt in mir auf. Was, wenn sie mir nicht glauben? Was, wenn die andere Hexe lügt? Ich sollte mir auf jeden Fall Hilfe dazu holen, immerhin bin ich nur eine Schülerin. Und wer würde das Wort einer Schülerin über das einer ausgebildeten Hexe stellen, wenn sie keine Beweise hat? Nach einigem Hin und Her notiere ich:
– Ist eine Wache oder andere Autorität in der Nähe? Wache ansprechen und in die Nähe der Hexe bringen
– Falls die Wache ihr Treiben nicht erkennt, Wache auf den Zauberspruch aufmerksam machen
– Falls das nicht reicht, einen Zauber sprechen, der ihr Treiben enthüllt oder neutralisiert
Zufrieden nicke ich. Das sollte als Vorgehen funktionieren – es war realistisch, wenn auch nicht so heroisch, wie ich es gern hätte. Elisa legt ihre kleine Hand anerkennend auf meinen Arm. Sie hilft mir wirklich sehr dabei, mit meinen Gedanken nicht allzu sehr abzuschweifen.