An diesem Vormittag freute Echo sich ganz besonders auf den Unterricht, denn heute war ihre dritte Stunde Runenkunde und die Professorin hatte schon angedeutet, dass nicht nur einzelne Runen gezeichnet werden, sondern es um die Kombination verschiedener Runen geht. Mit Dawn im Schlepptau kam Echo im Klassenzimmer an. Professorin Charlotte begrüßte die Klasse verschmitzt: „Guten Morgen. Heute haben wir etwas ganz Besonderes vor.” Sie führte die Klasse hinaus auf die Wiese hinter der Akademie, wo die Erde weich genug war, um darauf zu schreiben. Ein sanfter Wind wehte durch die Gräser und Dawn flog in kleinen Kreisen darüber hinweg und wirkte ungewöhnlich aufmerksam in ihrer verspielten Art, die Echo mittlerweile sehr zu lieben gelernt hatte.
„Heute lernt ihr, wie Runen in Kombination funktionieren“, erklärte Charlotte. „Jede Rune besitzt eine klare Bedeutung. Doch erst ihre Verbindung macht einen Zauber lebendig.“
Als Beispiel führte sie den Lichtzauber vor. Sie schrieb drei schimmernde Symbole in die Luft: die Rune für Licht, die Rune für Hell und eine kleine Feuerrune zur Verstärkung. Die Zeichen begannen sofort zu leuchten und verbanden sich zu einem strahlenden Funken, der vor ihren Fingerspitzen tanzte.
Echo beobachtete sie fasziniert. Runen hatten etwas Beruhigendes auf sie. Sie wusste, dass einige Hexen sich mit Blüten- oder Musikmagie wohler fühlten, aber seit der ersten Stunde faszinierten sie die Runen besonders. Sie hatten etwas Logisches. Sie fühlten sich wie kleine Bausteine der Magie an, die sich zu allem verbinden ließen und ein Maß an Kreativität forderten, um sie richtig zu kombinieren. Als Professorin Charlotte die Klasse aufforderte, selbst eine Kombination zu probieren, kniete Echo sich sofort auf den Boden und griff zur Kreide. Sie hatte gar nicht darüber nachgedacht. Die Kreide macht einfach Sinn für sie.
Die Erde war weich und leicht dunkel, perfekt für helle Linien. Echo wunderte sich keine Sekunde, dass sie doch mit Kreide eigentlich gar nicht auf der weichen Erde hätte schreiben können. „Die Kreide ist auf jeden Fall verzaubert“, murmelte sie. Seit sie in der Akademie angekommen ist, wundert sie sich generell immer weniger über alles Mögliche. Undenkbar, dass Magie vor wenigen Wochen nur Chaos für sie war oder die elegante und albenhafte Magie ihrer Mutter, die sie nie selber beherrschen könnte. Echo zog zuerst die Rune, einen runden Kreis, und dann vier innere Kreise. „Ja, so wird es gehen!“, sagte sie laut, und Dawn nickte und schaute ihr weiter aufmerksam zu. Vorsichtig platzierte sie Symbole für Wind, Wasser und Erde in jeden Kreis.
Zuletzt zeichnete sie vorsichtig das Feuersymbol in den untersten Kreis und sie traute sich kaum, zu atmen. „Hoffentlich passiert nichts Schlimmes.“ Sie schaute zu Dawn, die zu ihr flog und auf ihrer Schulter landete. Sie schnappte sich eine Haarsträhne und versteckte sich dahinter. „Danke, dass du so viel Vertrauen in mich hast.“, lachte Echo und sie verstummte, als sie einen Schatten über sich sah.
„Sehr schön, Echo“, meinte Professorin Charlotte, die vorbeiging, und nickte. „Die Kreidearbeit liegt dir. Die Elemente folgen dir gut und die Symbole und Runen scheinen dir leicht zu folgen.“
Davon ermutigt setzte Echo ihre Fingerspitze über den fertigen Beschwörungskreis. Ein leises Schimmern wanderte durch die Linien, als würde die Erde selbst auf ihren Zauber antworten. Die Runenkombination glühte hell auf, ein weicher Lichtstrahl erhob sich aus der Erde. „Keine Katastrophe“, atmete Echo erleichtert aus.
Dawn klatschte lautlos in die Hände und schwebte begeistert um das Licht.
Echo lächelte. Die Kreide, die Erde, die Ruhe der Runen, es passte zu ihr. Und an diesem Tag spürte sie zum ersten Mal, wie natürlich sich Runenkunde für sie anfühlte.
















