Der Raum wirkte stiller als sonst, als Professorin Charlotte die schwere Kiste vor der Klasse lautlos in den Raum schweben ließ und sie sanft auf den Boden aufsetzte. Echo spürte ein leichtes Kribbeln in den Fingern, als sie ihren Prüfungsgegenstand erhielt. Es war eine dünne, goldene Brille mit einer auffälligen, runden Fassung, aber ohne weitere Verzierungen. Ein Gegenstand, der klaren Zweck hatte. Die Goldarbeiten waren filigran und erinnerten sie an die Werkstatt ihres Vaters und daran, wie vorsichtig und geschickt er das dünne Metall der Uhren bearbeiten konnte.
Von dem aufgeregten Schreiben und Murmeln ihrer Sitznachbarin wurde sie wieder aus den Gedanken gerissen. Echo überlegte nicht lange. Eine Brille musste sehen helfen, nicht stärker, nicht schneller, sondern klarer. Sie schlug ihre Runentabelle aus der ersten Stunde auf und wählte die Zeichen, die perfekt zusammenpassten und mit denen sie das schreiben konnte, was sie vorhatte. Vorsichtig schrieb sie die Rune Adler, die für Weitsicht und Schärfe stand, und die Rune Auge, Symbol für Wahrnehmung, Fokus und Aufmerksamkeit.
Zuerst plante Echo die Anordnung sorgfältig auf Pergament. Die Runen sollten sich nicht gegenseitig überlagern, sondern ergänzen. Dann zeichnete sie sie ruhig und präzise mit Kreide entlang der Innenseite der Brillenfassung. Da die Brille ein sehr feines Gestell hatte, war es durchaus eine Herausforderung, mit der Kreide die Runen richtig zu platzieren. Mit ruhiger Hand und einem angespitzten Stück Kreide schrieb Echo sorgfältig jede Rune auf. Je auf eine Seite des Brillengestells. So würden die Runen ihre volle Kraft am besten entfalten können.
Als Echo die Magie den Runen einhauchte, glühte die Brille kurz in einem klaren, goldenen Licht. Behutsam hob Echo die Brille an und setzte sie auf. Ein Blick durch die Gläser genügte. Details, die zuvor verschwommen waren, traten plötzlich gestochen scharf hervor. Selbst weit entfernte Gegenstände ließen sich nun in über hundert Metern Entfernung glasklar erkennen und aus dem Fenster sah sie bis zum Quidditch-Spielfeld, auf dem gerade trainiert wurde. Jedes Haar der Spielerinnen konnte sie genau erkennen.
Professorin Charlotte betrachtete das Ergebnis aufmerksam und nickte anerkennend. „Die Runenwahl hast du gut durchdacht, sinnvoll und im Einklang mit dem Objekt gebracht. Bestanden!“, rief die Professorin und lächelte. Echo atmete erleichtert aus. Ihre erste Prüfung in Runenkunde war gelungen.
Sie legte die Brille auf den Tisch und unterhielt sich bis zum Stundenende mit ihrer Sitznachbarin, die Schwierigkeiten hatte, ihren Talisman mit Runen auszustatten. Erst als sie die Brille nach der Stunde wieder in die Kiste packen wollte, sah Echo, dass die Gläser der Brille einen Sprung hatten. Sie hatte die Brille doch vorsichtig behandelt und die Runen richtig platziert. „Professorin Charlotte…“, sie ging vorsichtig auf die Professorin zu. „Es tut mir leid, die Brille hat einen Sprung … Ich weiß auch nicht, wie das passiert ist.“ Bestimmt würde sie jetzt die Brille bezahlen müssen, oder ist doch durch die Prüfung gefallen. Kommentarlos nahm Professorin Charlotte die Brille und musterte sie genau. Dann gab sie Echo die Brille zurück. „Runen waren präzise, aber die Magie war zu stark für den Gegenstand. Das habe ich noch nicht häufig gesehen. Du hast die Prüfung bestanden, keine Sorge. Und die Brille darfst du behalten. Eine gute Übung wäre, sie doch zu reparieren mit deiner Magie!”
Echo packte die Brille vorsichtig ein. Sie würde die Brille bestimmt reparieren. Aber mit den Werkzeugen ihres Vaters, die sie sich vor der Abreise noch aus der Werkstatt zusammengesucht hatte.
















