Eine erwartungsvolle Stimmung lag in der Luft des Prüfungssaals, als wir unsere Plätze einnahmen. Ich übernahm die Verteidigung für die angeklagte Hexe, die von einer meiner Mitschülerinnen gespielt wurde. Wir nannten sie der Einfachheit halber beim Alias „Emma“ und sie sollte nur dasitzen, um einen echten Gerichtssaal so originalgetreu zu simulieren wie möglich. Der Saal wurde abrupt ruhig, als die „Staatsanwältin“ Anklage erhob:
Hexe Emma wird vorgeworfen, sie habe unsere bekannte Meisterbäckerin Camille verhext um sich gelegentlich mit Schokokeksen und Kirschtörtchen kostenfrei einzudecken.
Ich trat vor, den Kragen meiner Hexenuniform richtend und die Dokumente des Falls in der linken Hand haltend.
„Geehrtes Gericht, werte Geschworenen“, bekann ich ruhig, auch wenn ich innerlich nervös war. „Lasst uns die Wahrheit nicht in den süßen Düften aus Hefe und Zucker verlieren. Heute geht es nicht um Kuchen. Es geht um Gerechtigkeit.“ Stolz auf diese Einleitung ließ ich meinen Blick durch die Zuschauerinnen und unsere „Geschworenen“ wandern, die zustimmend vor sich hin murmelten. Ich räusperte mich, um mir ein Grinsen zu verkneifen. „Die Staatsanwältin behauptet,“ fuhr ich fort, „meine Mandantin habe Magie eingesetzt um unsere geschätzte Camille auszutricksen. Doch wo sind die Beweise? Ein leichtes Zittern ihrer Hand beim Herausgeben der Kekse? Ein verunsichertes Lächeln zu viel?“
Mein freies Auge heftete sich direkt an meine Gegenspielerin und ich erwartete ihre Reaktion. Diese machte zunächst ein nachdenkliches Summen, ehe sie gegen sprach. „Laut Aussage von unserer Bäckerin hat sie unerklärliche Gedächtnislücken. Sie erinnere sich nicht daran, jedes Mal von Emma Geld für ihre Ware erhalten zu haben.“
Das war das Stichwort für meinen Konter. „Einspruch! Camille erinnert sich bei einigen ihrer Kunden nicht daran, das betrifft nicht nur meine Mandantin. Zudem führt sie ihre Bäckerei allein. Sie wirbt damit, dass ihre Süßigkeiten aus den -ich zitiere- besten magischen Zutaten bestünden und mit ganz speziellen Zauberkristallen gezuckert seien. Ihr Laden ist weit bekannt und ihre Süßigkeiten hochbegehrt! Daher ist es nicht auszuschließen, dass sie zu Stoßzeiten bei der Menge an Kundschaft schnell mal die Übersicht über Gesichter und Finanzen verliert.“ Ich verschränkte die Arme und wand mich zum Publikum. „Angenommen, man nimmt gerade das Gold für den Keksbeutel entgegen und gleichzeitig den Geruch von verbrennendem Kuchen wahr…natürlich bleibt einem der Gestank eher in Erinnerung als das Gefühl des Goldes in der Hand. Wer könnte einem das auch in so einer Situation verübeln?“
Während die „Staatsanwältin“ hastig durch ihre Notizen blätterte sprach ich weiter. „Und hierzu noch etwas!“ Ich präsentierte den Anwesenden eine dicke Mappe. „Hier haben wir die Verkaufsbücher der Bäckerei. Unvollständig, lückenhaft. Keine klare Aufzeichnung über die Verkäufe. Wer kann damit also sicher sagen, dass Emma sich jemals Kuchen erschlichen hat? Es gibt keine Augenzeuginnen, keine magischen Rückstände eines Trickzaubers…nur Vermutungen.“ Natürlich handelte es sich dabei nicht um die Originalaufzeichnungen der Inventuren. Aber für unseren Fall waren sie ernstzunehmend genug.
Da keine weitere Gegenaussage folgte, tauschte Professorin Elvina einen kurzen Blick mit den „Geschworenen“ aus und faltete die Hände. In einer kräftigen Stimmlage sprach sie anschließend das Urteil aus:
„Das Gericht hat entschieden. Mangels von Beweisen wird die Angeklagte Emma freigesprochen.
Sie ist nicht schuldig im Sinne der Anklage.“
Es folgte ein Applaus im gesamten Saal und ich schüttelte die Hand der „Staatsanwältin“. Auch wenn es sich nicht um einen echten Fall gehandelt hatte, fühlte sich die Erleichterung in meinem Herzen doch real an und die Entscheidung richtig.