Hintergrund und Herkunft
Zu Beginn war eine Rose…
In jener Nacht, in dem der Himmel nicht ganz schwarz war, sondern schimmerte wie tiefes Violett, da öffnete sich mitten im verwilderten Teil des Schlossgartens eine Hexenrose, die halb so groß wie eine durchschnittliche Blüte ihrer Art war. Sie war geschützt vor dem sanften Sommerregen, zwischen nassem Laub und knorrigen Wurzeln, die wunderschön durch das Nass glänzten. Kein Wind regte sich, doch die alten Kräuter neigten sich sacht, als wüssten sie, was geschah. Zwischen den Lücken schimmerte der wachsame Mond auf sie herab.
Mit einem kaum hörbaren Rascheln sprang die Knospe auf. Es war wie ein leises Aufatmen in der Erde und zwischen rosafarbenen Blütenblättern lag ein winziges Wesen, dampfend von Regen und Rosenöl. Es hatte lange und feuchte Hasenohren, die sich langsam sträubten. Ihr Haar war verworren wie Wolle und ihre lila schimmernden Augen öffneten sich blinzelnd dem ersten Mondlicht entgegen.
Die Pflanzen ringsum rückten ihre Blätter wie Decken näher und wölbten sich über sie wie ein lebendiges Nest. Selbst die Dornen zogen sich zurück, um sie nicht zu verletzen. Kein Laut durchbrach die Stille außer dem leichten Ticken der Tropfen auf dem Blätterdach und dem Rascheln einer Schürze in der Ferne.
Elowyn, die zuständige Gärtnerhexe für verwelkte Blüten, machte ihre Runde durch das nasse Grün. Sie kannte das Zittern der Erde, wenn Leben erwachte und kannte den Duft frisch geöffneter Hexenrosen. Ihre Hände rochen nach feuchtem Moos und verbranntem Lavendel und als sie das winzige Wesen fand, hob sie es auf, als wäre es das Kostbarste auf der Welt.
„Du kleine, vergessene Blüte,“ murmelte sie, als sie das Baby in ihren Mantel wickelte. „Du hast auf deine eigene Stunde gewartet.“
Und so begann Nyx‘ Leben: mit der Natur die Eins mit dem Regen war und einer Frau, die tote Blüten wieder zum Blühen brachte.
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Seit Nyx denken konnte, trug sie das kleine Herzschloss um den Hals; silbern, ein wenig matt vom Alter und ohne auffindbaren Schlüssel. Elowyn hatte es ihr geschenkt, doch nicht als Schmuck. Es war ein Schutz! „Für später“, sagte sie während sie das Band hinter ihrem Nacken verknotete. Damals verstand Nyx es nicht. Sie wusste nur, dass ihr Körper manchmal schwer schien, als würde etwas in ihr gegen sich selbst kämpfen. Das Zaubern strengte sie mehr an als andere und ihre Finger zitterten oft nach einfachen Sprüchen.
Elowyn erkannte das Problem damals schnell: Nyx‘ Manafluss war sehr schwach, auch für eine Marulin. Sie verbrauchten mehr Mana als andere, was kein Problem gewesen wäre. Aber ihr Herz war noch zu schwach und es wusste nicht, wie viel es geben darf, bevor es zu viel ist. So flochte Elowyn einen alten Zauber der Nyx schützen sollte. Ihr wahres Ich in einem sanften Schlaf, kein Käfig, sondern eine Wiege.
Jahre vergingen. Nyx wuchs und wurde kräftiger und lernte an der Lunastria Akademie wie sie ihre Mana besser kontrollieren konnte. Sie merkte es nicht sofort. Denn wie sie zuvor aus einer Knospe kam, so war es auch mit ihrem schlafenden Ich: langsam öffnete sich ein Blütenblatt nach dem anderen in ihrem Herzen und das Schloss ohne Schlüssel ging auf. Wie eine Blume, die entschieden hat, der Sonne zu trauen. Sie sah nicht mehr wie ein Mensch aus, sondern wie die Marulin die sie seit Geburt war.
In ihrem Spiegelbild sah sie sich wieder als sich selbst: mit langen seidigen Ohren, der kleinen tierischen Stupsnase und ihrem Schweif der zögerlich zuckte, als müsste er sich erst an die Freiheit gewöhnen. Doch sie war nicht erschrocken, nein. Sie lächelte ohne Zweifel ihr Gegenüber an, wie eine enge Freundin die man nach Jahren wieder trifft.
Seitdem trägt sie die Kette noch immer, als kleine Erinnerung an das, was sie geschafft hat.
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Insgesamt sind dreiundzwanzig Sommer vergangen, seit sich die winzige Rose öffnete. Aus der stillen Blüte ist eine junge Hexe gewachsen, so frech wie eh und je mit einem Blick der schärfer denkt, als er spricht. Nyx ist nun Hexenlehrling, spezialisiert auf Blütenmagie. Oft trifft man sie jedoch nicht in den Klassenzimmern, sondern knietief im Gras, die Hände in dunkler Erde und das Notizbuch voll mit verwilderten Skizzen und Fragen.
Ihr Gang ist leicht, ihr Lächeln verschmitzt und in ihren Augen liegt ein unstillbarer Hunger nach Wissen; nicht bloß nach dem, was Bücher verraten, sondern nach dem, was zwischen Blättern flüstert und unter Rinden schläft. Sie kennt jedes Kraut beim Namen, weiß wann eine Knospe lügt und wann sie sich zu öffnen wagt. Vieles hat sie von Elowyn gelernt, deren Garten sie nach wie vor pflegt, als wäre er ihr eigenes Herz.
Und wenn ihre Hände nicht nach Erde riechen, dann nach Milch, Kräuteröl und warmem Honig! Denn zu Hause wartet Aki, ihr eigenes Hexenbaby, das sie mit derselben Fürsorge aufzieht, mit der einst Elowyn sie umhüllt hatte.
Und unter all dem Lachen, all der List, wächst leise ihr Ziel: eine Heilerin zu werden, stark genug, um nicht nur Blüten, sondern auch Herzen wieder zum Blühen zu bringen.



















































































































































































































































































































































































































































